Fußball und Digitalisierung

von Günther Jakobsen15:18 Uhr | 01.09.2019
Fußball ist ein Sport mit Tradition. Insbesondere in Europa, wo der Volkssport auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, werden Veränderungen gerade von Fans nicht immer sofort akzeptiert. Doch das Zeitalter der Digitalisierung ist im Fußball längst angekommen und hat die gesamte Landschaft um den Sport tiefgreifend verändert. Sowohl die Interaktion mit Fans, das Erscheinungsbild von Übertragungen, als auch der tatsächliche Fußball auf dem Platz werden heute von Aspekten der Digitalen Welt beeinflusst.


Sensoren, Zahlen, Statistiken und der Fußball

Verbesserte Ausrüstung, wissenschaftliche Trainingsmethoden, stetige medizinische Fortschritte im Leistungssport, Jahrzehnte zusätzlicher Erfahrung, mehr finanzielle Mittel im Profibereich – all das trägt dazu bei, dass der Fußball einem ständigen Veränderungsprozess unterliegt. Doch in den letzten Jahren hat ein beschleunigter Wandel eingesetzt. Im Zuge der rasanten Verbreitung und Weiterentwicklung digitaler Technologien haben sich auch neue Möglichkeiten zur Datenerhebung und –analyse aufgetan, die neue Möglichkeiten bieten.



Digitale Technologien zur Leistungsoptimierung

Vor allem große Vereine nutzen schon seit einiger Zeit digitale Technologien zur Verbesserung des Trainings und des Spielverständnisses. Mit der umfassenden Auswertung von detaillierten Statistiken, die ohne digitale Hilfsmittel kaum erfassbar wären, versprechen sich die Trainer der Clubs neue Erkenntnisse, mit denen effektivere Entscheidungen getroffen werden können. Dabei gehen die modernen Statistiken über die bekannten Auswertungen von Ballbesitz, Torschüssen und Passquoten weit hinaus. Das liegt sowohl an neuen technischen Möglichkeiten, als auch an innovativen Anwendungsformen: 

  • Sensorik: Im Ball, im Rasen oder in Form von sogenannten „Wearables“, ergänzt durch Kameras die sich rund um das Spielfeld befinden, zeichnen Sensoren die unterschiedlichsten Daten auf. Über die kabellose Verknüpfung mit einem Server werden die zahllosen Informationen zusammengetragen und ausgewertet. Dies bringt den Verantwortlichen der Mannschaften neue Einblicke, die in sportliche Entscheidungsprozesse einfließen. Sowohl eine objektivere Bewertung der Leistung einzelner Spieler, als auch die datenbasierte Entwicklung von Taktiken und Spielzügen sind in den ersten beiden deutschen Ligen heute maßgeblich von digitalen Daten abhängig.
  • Umfassende Datenanalyse: Vor wenigen Jahren, während der TV Übertragungen zur Europameisterschaft 2016, war eine dieser neuen Analysemethoden in aller Munde. In den Sendungen der ARD zum Turnier war Stefan Reinartz, ehemaliger Bundesliga-Profi und kurzzeitiger Nationalspieler, zu Gast und stellte ein auf einer neuen Kennzahl basierendes System vor. Das so genannte Packing, auch als „Packing-Rate“ bekannt, bezeichnet die Anzahl der Gegenspieler, die bei einer Aktion überspielt werden. Dieser Wert sei laut Reinartz der Grund für den hohen Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien im WM-Halbfinale 2014. In traditionellen Kennzahlen waren die Brasilianer weitgehend besser – nur beim Packing hatte „Die Mannschaft“ die Nase deutlich vorn. Bei Fernsehübertragungen hört man das Stichwort inzwischen eher selten. Doch das bedeutet nicht, dass die spezielle Analyse-Kennzahl an Relevanz verloren hat.


Ein praktisches Beispiel für einen erfolgreichen Einsatz digital unterstützter Statistik im Fußball ist der Höhenflug des dänischen FC Midtjylland. 2015 gewann das Team erstmals die dänische Meisterschaft. Die Besonderheit daran: Der Erfolg beruhte maßgeblich auf einem emotionsfreien Softwaresystem, das vollständig auf Wahrscheinlichkeitsrechnung und statistische Analysen basiert. So wurden beispielsweise neue Spieler auf der Basis verschiedener Kennzahlen, so genannter Schlüsselleistungsindikatoren ausgesucht. Mit überschaubaren Investitionen gelang es dem Verein auf diese Weise, mehrere versteckte Talente zu finden, die anschließend maßgeblich am Erfolg der Mannschaft beteiligt waren.

VAR - Der Schiedsrichter mit digital verbesserten Augen

Trotz aktuell noch schwieriger Akzeptanz und zugegebenermaßen teilweise problematischer Implementierung in der Praxis, ist die Nutzung von Videoassistenten (Video Assistant Referee – VAR) eine gute Idee, um die sportliche Integrität mit modernen Werkzeugen zu bewahren. Auch, wenn diese Technologie bei Funktionären und Spielern regelmäßig in der Kritik steht. Denn die offizielle Statistik des DFB belegt, dass die Bundesliga seit der Einführung gerechter geworden ist. In der Saison 2018/2019 konnte der Verband 82 verhinderte Fehlentscheidungen zählen. Ob die Technologie von Schiedsrichtern und Videoassistenten optimal eingesetzt wird, oder ob es noch Verbesserungspotential gibt, ist natürlich eine andere Fragestellung. Doch die schwierige Anfangsphase ist es durchaus wert, wenn nach der Überwindung von Startschwierigkeiten am Ende ein fairerer Sport das Ergebnis ist.

Ähnlich verhielt es sich mit der Torlinientechnik. Auch dieses vergleichsweise simple System, das Fehlentscheidungen bei fragwürdigen Toren mit digitalen Hilfsmitteln ausschließen kann, wurde anfangs kritisch beäugt. Doch mittlerweile ist es bei internationalen FIFA-Turnieren wie auch in der Bundesliga ein selbstverständlicher Bestandteil des Spielverlaufs.

Dennoch kritisieren vor allem Fußballfans der „alten Schule“ den Einsatz derartiger Technologien, häufig mit der Begründung, damit würde dem Fußball die traditionell dazugehörende Kontroverse und Grundlage für Diskussionen genommen. „Legendäre Geschehnisse“ wie das Wembley-Tor hätte es damit nie gegeben.

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Stefan Reinartz
MittelfeldDeutschland
Zum Profil

Person
Alter
35
Größe
1,89
Gewicht
87
Fuß
R
Daten

Oberliga Nordrhein

Spiele
-
Tore
-
Vorlagen
-
Karten
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Doch die zweifelsfreie Korrektheit von Entscheidungen, die einen Einfluss auf das Ergebnis haben können, dürfte diese Sorgen überwiegen. Je präziser und somit fairer der Sport wird, desto besser. Guter Fußball braucht keine Skandale, um zum Gesprächsthema zu werden.

Digitale Hilfsmittel bei Übertragungen

Die Möglichkeiten digitaler Analysewerkzeuge und der optischen Aufarbeitung der Ergebnisse kommt nicht nur den Clubs zu Gute. Auch für die Zuschauer zuhause bringt die Anwendung neuer technischer Möglichkeiten in Fernsehübertragungen einen großen Mehrwert. Insbesondere visuelle Analysewerkzeuge, die bestimmte Sachverhalte live im TV verdeutlichen, haben die Übertragungen in den letzten Jahren enorm aufgewertet. Die Touchscreen-Analyse, wie sie gerne im ZDF genutzt wird, erweitert die Berichterstattung um eine leicht nachvollziehbare visuelle Dimension. Auch das Stichwort Augmented Reality, also die Aufwertung von realen Aufnahmen durch interaktive Anwendungen, fällt in diesem Zusammenhang immer häufiger. Etwa in der spanischen La Liga kommen diese Technologien bereits zum Einsatz. Somit kann man nahezu sicher sein, dass diese Technik zeitnah auch die Bundesliga erobert.

„Profi-Analysemöglichkeiten“ für Fernsehzuschauer

Ein weiteres Stichwort ist der „Second Screen“, also ein zweiter Bildschirm, der parallel zur Übertragung des Fußballspiels genutzt wird. Fernsehsender können dieses weitere Gerät nutzen, um einen parallelen Mehrwert zu bieten, etwa durch zusätzliche Informationen zum Spiel oder ergänzende Dienste wie Votings. Die grundlegendste Form, Live-Kommentare von Zuschauern etwa über Twitter oder Facebook in die Übertragung einzubinden, wird schon seit einiger Zeit von vielen Sendungen genutzt. Ebenso bieten verschiedene Sender sofort verfügbare Highlights und Wiederholungen an, die man bereits während der Übertragung auf dem Handy anschauen kann. Es gibt jedoch auch kreativere Ideen: Bei der vergangenen WM in Russland startete das ZDF die Aktion „Be Béla“, bei der Fans ihre eigenen Kommentare zu Spielszenen einsenden konnten. Dank der Integration eines Aufnahmeprogrammes in die mobile App der ZDF-Mediathek wurde es extrem einfach, die eigene Stimme mit ausgewählten Szenen zu paaren und den kurzen Clip hochzuladen.



Streaming auf dem Vormarsch

Die Übertragung von digitalen Medieninhalten über das Internet hat unseren Medienkonsum in den vergangenen Jahren stark verändert. Nach dem Erfolg von fiktionalen Inhalten und Dokumentationen auf Abruf, hat auch der Sport nachgezogen und den Schritt zum Streaming gemacht. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender bieten seit einigen Jahren Livestreams aktueller Sportereignisse an. So kann man die gleiche Übertragung wie im Fernsehen auch am Tablet, Computer oder unterwegs mit dem Smartphone verfolgen, jeweils angereichert um zusätzliche, multimediale Inhalte. So bietet etwa die Mediathek des ZDF eine Auswahl an verschiedenen Kamerawinkeln. Als Zuschauer kann man daraus frei wählen und beispielsweise das gesamte Spiel aus der Vogelperspektive oder von der Kamera hinter einem Tor aus verfolgen. Auch können Wiederholungen von Schlüsselszenen nach Belieben abgerufen werden, falls sie während der Live-Übertragung verpasst wurden oder noch Diskussionsbedarf besteht. Ähnlich sieht es in der Sportschau-App der ARD aus. Pay-TV-Sender wie Sky haben ohnehin ein breites Angebot an Extras.

Zu den zusätzlichen Angeboten bei Live-Übertragungen kommt noch ein riesiger Vorteil, den Streams über das Internet mit sich bringen: Sie können auch zu einem beliebigen Zeitpunkt nach dem Spiel angerufen werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von „On Demand“ Videos (VOD).

Ein Nachteil am wachsenden Streaming- und VOD-Markt: Die Übertragungsrechte für Sport werden unter den verschiedenen Anbietern noch weiter aufgeteilt. Dadurch muss man sich genauer informieren, welche Begegnungen wo gezeigt werden, um sich das passende Angebot herauszusuchen. Wer also möglichst viele oder gar alle Spiele mit den neuen Technologien verfolgen möchte, muss eventuell bei mehreren kostenpflichtigen Anbietern ein Abonnement abschließen.

Globalisierung des Sports durch das Internet






Das Internet hat nicht nur verändert, wie das Spiel von Einzelpersonen angesehen wird. Die weltweite Vernetzung hat ihren Teil dazu beigetragen, dass der Weltsport Fußball nochmals zusätzlich an Popularität gewinnt. Ebenso hat das Internet einen großen Einfluss darauf, wie von Fans, die auf der ganzen Welt verteilt sind, über Fußball diskutiert wird. Auf verschiedenen Online Plattformen versammeln sich insbesondere während internationaler Turniere Fußballfans verschiedenster Herkunft und fachsimpeln gemeinsam.

Mehrere Tausend Kommentare pro Thema sind etwa auf dem internationalen Portal Reddit.com keine Seltenheit. Fans aus aller Welt kommentierten dort etwa nach dem Ende des Champions League Halbfinales zwischen Liverpool und Barcelona über 9.500 Mal. Auf diesem Wege kommen Fußballfans auch mit Ligen, Spielen und Mannschaften in Berührung, die in den traditionellen Medien eher weniger Beachtung finden.

Digitale Präsenz von Vereinen immer wichtiger

In Zeiten der Digitalisierung müssen sich Vereine und Verbände heute zwingend ihren Anhängern mit individuellen Onlinepräsenzen und eigenen Apps präsentieren. Digitales Marketing ist heute eine Pflichtdisziplin für moderne Vereine geworden. Ohne eigene Fan-App, über die die neuesten Informationen geteilt und Fanartikel oder Tickets gekauft werden können, ist ein moderner Bundesligist kaum noch vorstellbar.

Kostenfreies WLAN bei Stadionbesuchen ist schon seit einigen Jahren ein notwendiger Standard. Darüber hinaus bieten einige Top-Clubs in Verbindung mit ihren Apps spezielle digitale Dienste an, die den Spieltag vor Ort aufwerten. Das reicht von automatischen Updates detaillierter Statistiken bis hin zur mobilen Zahlung der Stadion-Guthabenkarte. 

Medienquellen:





Fußball gut, alles gut.

— Anthony Yeboah