WM 2014 - Qualifikation - Qualifikation - Di., 16.10.2012 - 20:45 Uhr
4:4
HZ - 3 : 0

Rätselhaftes Spektakel

Ganz starkes Spiel: Miroslav Klose

Ganz starkes Spiel: Miroslav Klose

Ganz starkes Spiel: Miroslav Klose

Es galt viel zu verarbeiten: Einer einstündigen absoluten Weltklasseleistung des DFB-Teams schloss sich der Verlust einer Vier-Tore-Führung an. Weder die Deutschen noch die Schweden fanden ad hoc Erklärungen.

Spielfreude pur. Noch nicht einmal zwei Minuten waren verstrichen, da lief über den rechts immer anspielbaren Boateng ein erster sehenswerter Angriffszug der DFB-Elf, der Müller die Doppelchance zur Führung eröffnete. Schwedens Keeper Isaksson konnte den per Hacke angesetzten Versuch des Deutschen parieren, der Nachschuss klatschte an den Pfosten. Ein Vorstoß der Gäste unterbrach den Einbahnstraßenfußball, als Holmen aus zentraler Position, etwa 20 Meter Torentfernung, abziehen konnte. Eine nicht ungefährliche Situation; der Ball flog nicht viel über den Querbalken. Es sollte jedoch die Ausnahme bleiben, denn auf der Gegenseite brannte die deutsche Nationalelf ein Feuerwerk ab. Ob über rechts, wo sich Außenverteidiger Boateng nahezu permanent in die Angriffe einschaltete, über links, mit Lahm, der häufig als Teil der Kombinationsmaschine fungierte, oder durch die Mitte - in allen Bereichen wurden die Schweden ausgespielt und hinkten dem Kombinationsfluss der Deutschen vollkommen überfordert hinterher. Erstklassig von Lahm und Reus vorbereitet schoss Klose folgerichtig zum 1:0 ein (8.) und schloss eine weitere, perfekt vorgeführte Angriffsaktion in der 15. Minute zum 2:0 ab. Für einige Minuten Mitte der ersten Hälfte ließ der Druck der Deutschen dann etwas nach; die Skandinavier konnten daraus, außer etwas Ballbesitz, aber keinen Nutzen ziehen. Zogen die Gastgeber das Tempo jedoch an, wurde es sofort wieder gefährlich. Zahlreiche klasse Kombinationen durchschnitten Schwedens Abwehr, oft fehlte lediglich ein Schritt, um das Leder erneut ins Ziel zu bringen. Von Müller stark aufgelegt war es in der 39. Minute schließlich Mertesacker beschieden, dem Spektakel die 3:0-Belohnung hinzu zu fügen. Eine überragende Offensivleistung des Teams, zu der auch die Defensivspieler viel beitrugen, endete nach 45 Minuten.

Schwedens Coach Erik Hamren dürfte klar geworden sein, dass mit einer Defensivtaktik gegen die Deutschen nichts zu holen war. Die Einwechslungen zur zweiten Halbzeit (Källström und Kacaniklic für Wernbloom und Holmen) sprachen für eine Flucht nach vorn - und tatsächlich verbuchte das Dreikronenteam die erste gute Torchance nach Wiederbeginn, als der bis dahin nicht auffällige Ibrahimovic nach einer Ecke am langen Pfosten neben den Ball säbelte (49.). Die nächsten Aktionen gingen aber wieder aufs Konto der DFB-Elf. Müller (51., erst von Isaksson gestoppt) und Schweinsteiger (53., aus der Distanz rechts vorbei) nahmen den Kasten der Gäste noch erfolglos ins Visier, nach Müllers überlegtem Zuspiel auf Özil traf der Madrilene dann jedoch zum 4:0 (56.). Ein großartiger Zwischenstand nach einem großartigen Spiel der Deutschen - das unerklärlicherweise trotzdem noch kippte. „Wir haben den Schalter nicht mehr umlegen können“, versuchte Kroos darzustellen, dass die zuvor spielerisch auf höchstem Niveau agierende DFB-Elf in der letzten halben Stunde nicht die entsprechende Einstellung fand, den zunehmend Hoffnung schöpfenden Schweden in den Zweikämpfen Paroli zu bieten und keine Lücken zuzulassen. „Wahrscheinlich begann das Problem irgendwo im Kopf“, mutmaßte Joachim Löw, der zunächst keine erschöpfende Erklärung für den Niedergang fand. Ein Foul an Müller, das nicht geahndet wurde, markierte den Ausgangspunkt der Wende. Källström flankte perfekt in den deutschen Sechzehner auf Ibrahimovic, gegen dessen ebenso perfekten Kopfball Neuer ohne Chance war (62.). Eine weitere gute Flanke Källströms nutzte Lustig, um aus spitzem Winkel auf 2:4 zu verkürzen (64.) - und ab diesem Zeitpunkt änderte sich der Charakter des Spiels. Trotz der immer noch stattlichen Führung wurde die DFB-Auswahl nervös, die Stabilität ging verloren, derweil die Schweden Morgenluft witterten. Die Torraumszenen wechselten ständig und nur Lahms guter Abwehr war zu danken, dass Ibrahimovic in der 70. Minute nicht frei durchpreschen konnte. Viel zu viel Freiraum bot man den Gästen allerdings in der 76. Minute an, als Kacaniklic links durchkam, nicht energisch angegriffen wurde und zur Mitte passte, wo Elmander trotz Bedrängnis zum Abschluss kam und das 3:4 erzielte. Kroos (82., Pfostenschuss) und Özil (83., sehr knapp drüber) hätten die wackelige Angelegenheit stabilisieren können - blieben jedoch unglücklich im Abschluss. Glück brauchten die Deutschen dann in der 85. Minute, als der eingewechselte Sana freistehend das leere Tor verfehlte. In der Nachspielzeit erzwangen die Gäste durch Elm schließlich doch den nicht für möglich gehaltenen 4:4-Ausgleich und den damit verbundenen Punkt in der WM-Qualifikation. Ihrem Trainer Hamren war das Erlebte zunächst ebenfalls nicht erklärbar: „Das ist historisch. Ich habe so etwas noch nie erlebt und kann es auch nicht erklären. So etwas passiert nicht jeden Tag. Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft, aber ich sitze auch mit einem merkwürdigen Gefühl hier.“

André Schulin

Wenn wir alle Spiele gewinnen, können wir Weltmeister werden.

— Horst Hrubesch, Deutschland, vor der WM 1982 in Spanien.