Baumgart brüllt FC im Wohnzimmer Richtung Champions League

von Marcel Breuer | dpa11:44 Uhr | 06.02.2022
Kölns Trainer Steffen Baumgart. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Er tigerte durchs Wohnzimmer, brüllte mit Familienhund Jory auf den Schultern den Fernseher an und beschimpfte einen offenbar schauspielernden Gegenspieler.



In der Corona-Quarantäne hat Kölns Trainer Steffen Baumgart sein Wohnzimmer in eine Coachingzone umfunktioniert und durfte am Ende eines emotionalen und auch für die Nachbarn lauten Nachmittags jubeln: Durch das 1:0 gegen den SC Freiburg rückte der 1. FC Köln in Baumgarts Abwesenheit in der Fußball-Bundesliga sogar in Schlagdistanz zu den nur zwei Punkte entfernten Champions-League-Plätzen.

Abwehrchef Timo Hübers hatte kurz nach dem Schlusspfiff die Hoffnung geäußert, dass bei Baumgarts zu Hause «alles heile geblieben ist.» Das Video, das dessen Tochter Emilia am Samstagabend bei «Tik Tok» einstellte, ließ daran zumindest leise Zweifel aufkommen. «Ich muss irgendjemanden anbrüllen», rief Baumgart ins Handy einem Assistenten zu. Er gab die Anweisung: «Sie sollen nach vorne spielen, auch wenn sie drei Stück kriegen.» Und offenbar einem Freiburger Spieler rief er via Bildschirm zu: «Komm hoch mit deinem Arsch. Jedes Mal heulst du rum.»

Baumgart kein stiller Trainertyp

Entspannen konnte sich Baumgart aber rund eine Minute vor Ende der Sky-Übertragung. «Er hatte eine Zeitverzögerung von etwa 50 Sekunden», verriet Sportchef Jörg Jakobs lachend: «Deshalb stand er in der letzten Minute in Funkkontakt zu unseren Leuten. Als die Nachricht vom Abpfiff kam, konnte er wenigstens die letzten 50 Sekunden entspannt gucken. Das haben wir ihm alle gegönnt.»



Für Baumgart war die Emotionalität während des Spiels nichts Besonderes. «Ich war genauso laut wie immer. Ich hoffe, die Nachbarn beschweren sich nicht», sagte er der «Bild»-Zeitung. Dem «Express» erklärte er aber, dass er davor kaum Sorge habe: «Die meisten sind ohnehin FC-Fans.» Und er sei eben «nicht der Typ, der still auf dem Sofa sitzt, wenn es um die Jungs geht.»

Trotz der oft kernigen Ausdrucksweise ist es genau das, was die Spieler an ihm schätzen. Und die Beziehung zwischen Mannschaft und Trainer gilt als Erfolgsrezept beim im Vorjahr fast abgestiegenen FC. Dennoch sei sein Fehlen in diesem einen Spiel kein Problem gewesen, beteuerten alle. «Es war ein bisschen besonders. Aber am Ende wissen wir, was wir machen müssen», sagte Torjäger Anthony Modeste, der mit seinem 14. Saisontor wieder den goldenen Treffer erzielte (23.). Und Youngster Jan Thielmann (19), der das Tor stark vorbereitete, erklärte: «Er gibt noch mal das eine oder andere Motivationsquäntchen. Aber das haben wir heute gar nicht gebraucht.»

Traum von Europa nicht illusorisch

Co-Trainer André Pawlak, der seinen Chef laut Jakobs «tadellos» vertrat, versicherte: «Die Abläufe sind einfach drin, über Wochen und Monate gefestigt. Natürlich fehlt Steffens Emotionalität. Aber die Mannschaft hat gezeigt, dass sie es auch mal ohne Steffen schaffen kann.» Auch, weil der sonst so besonnene Pawlak ein bisschen mehr aus sich rausging. «André war zur Pause schon gut heiser», berichtete Hübers: «Da musste ich schon schmunzeln. Wahrscheinlich hat er versucht, es dem Steffen Baumgart gleichzumachen.»

Ganz offensichtlich sind die beiden ein gutes Team. Das dafür sorgt, dass der Traum von Europa nicht illusorisch ist. Darüber sprechen will in Köln aber noch niemand. Sportchef Jakobs sagt immerhin schmunzelnd: «Wir nähern uns der Situation, dass wir sagen können, wir halten die Klasse sicher und können vielleicht mal über andere Dinge nachdenken.»


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(dpa)

Mir nutzen Stars nichts, ich brauche elf Leute.

— Otto Rehhagel, Trainer Werder Bremen, nach der deutschen Meisterschaft 1988.